STÄDTEBAU DER MODERNE

Die voraussetzungslose Verwirklichung von Idealvorstellungen war die Kernidee des Städtebaus der „klassischen“ Moderne. Vollständige Zerstörung des Bestehenden war Pflicht (eine noch keineswegs ausgestorbene Vorstellung: Rem Koolhaas: „Fuck the context – I am the context“... um den Dreisatz zu vervollständigen: Fuck Koolhaas), und die sofortige Herstellung eines unabänderlichen Idealzustandes war Programm. Transformationen waren nicht erforderlich und auch nicht vorgesehen.
Damit verbunden war der „fürsorgliche“ Anspruch, allen Menschen sozial, funktional und ästhetisch kompromisslos vorzuschreiben, wie sie zu wohnen und zu leben haben. Mit diesem repressiven und totalitären Anspruch ist der Städtebau der Moderne zu Recht gescheitert.
Die Exponenten der architektonischen und städtebaulichen Moderne waren keineswegs durchgehend politisch fortschrittlich. Wäre man boshaft, könnte man sagen: Le Corbusier, „zynisch und opportunistisch“ (Daniel de Roulet), versuchte, Marschall Pétains Albert Speer zu werden. Le Corbusiers Bedeutung als Architekt ist nicht anzuzweifeln. Aber dass weder er noch Speer als Städtebauer in Europa richtig zum Zuge kamen- darüber können wir nur froh sein.
Denn derart formierte Städte, wie sie die Visionäre der Moderne imaginierten, stehen ihrem eigenen Anspruch auf Innovation diametral entgegen. Neuheit, selbst Avantgarde ist immer temporär.
Wenn man sich für ein Hochhaus entschieden hat, ist es egal, ob es eine Stein- oder eine Glasfassade zeigt. Entscheidend ist, ob der Bau eines Hochhauses richtig ist. Insofern geht der sog. „Berliner Architekturstreit“ an der Sache vorbei. "Es geht (dabei) um Ästhetik, um ein Bild der Stadt, nicht um ihre soziale und politische Zukunft" (Werner Sewing).
Aber Berlin selbst ist ja eine wunderbare Widerlegung des Städtebaus der Moderne: niemals fertig- und das aus Tradition.

Einen wichtigen Programmpunkt der Moderne gibt es jedoch, der anscheinend mehrheitsfähig ist und den heutigen Städtebau nachhaltiger prägt als alle anderen Faktoren: die Affenliebe zum Auto. Auch Frank Lloyd Wrights „Broadacre City“, räumlich als eine Art endloser Gartenstadt ein Gegenentwurf zum „Plan Voisin“, beruht auf dem Auto.
Darunter leidet die wirkliche Stadt. Als Ergebnis einseitig Kfz-orientierter Planung gibt es bis heute in unseren Städten nicht genügend öffentliche Räume, die Vielfalt und Überlagerung der Nutzungen erlauben und keine Vorschriften machen – außer der, sich an den gesellschaftlich vereinbarten Verhaltenskodex zu halten.
Wir meinen: Städtebau ist dann guter Städtebau, wenn er auch schlechte Architektur verkraftet und integriert. Wenn dagegen Architekten Städtebau machen, versuchen sie in erster Linie, gute Architektur zu machen. Welche der architektonisch ambitionierten Idealprojekte werden auch unter veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen funktionieren und attraktiv bleiben, welche sind dabei nicht von ihrem Kontext abhängig? Ich bin gespannt. „Ich zweifle. Und hoffe, dass es falsch ist zu zweifeln“ (Xenophon).
Wir sollten uns darüber klar sein, dass eine Stadt nie fertig sein kann, dass jedes Projekt und auch jede übergreifende Planung als Teil eines Prozesses zu verstehen ist, dem man als Planer bestenfalls eine Richtung und eine gute Ausgangssituation für weitere Entwicklungen gibt. Mit anderen Worten: bei einer Partie Karambolage müssen die Kugeln mit jedem Stoß in eine Konstellation gebracht werden, die für den jeweils nächsten Stoß günstig ist – und das hängt auch davon ab, wer weiterspielt - und so sollten auch städtebauliche Projekte angelegt sein.